“Was ist akzeptabel und was nicht?”

Wahlfreiheit Kandare oder Trense, Berufsrichter ja/nein, die Lage des Dressursports, frischer Wind und frische Ideen in Warendorf – dressursport.kim im Interview mit Prof. Martin Richenhagen, Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.

Prof. Martin Richenhagen
(©FN/Cora Jennissen)

dressursport.kim: Herr Richenhagen, wie würden Sie die sportliche Lage des Dressursports in Deutschland beschreiben.
Richenhagen: Der Dressursport in Deutschland – das ist kein Geheimnis – befindet sich in einer ausgezeichneten Lage.Man braucht sich nur die Ergebnisse von Paris anzusehen, das ist ja ein objektives Kriterium. Das besonders Positive sind aber auch die vielen jungen Reiter, die mit feiner Reitweise auf sich aufmerksam machen.

dressursport.kim: Trotz aller Erfolge hat der Dressursport aktuell Probleme in der Darstellung der Medien und in der breiteren Bevölkerung…
Richenhagen: In der Bevölkerung kann ich das Problem nicht so erkennen. Es gibt in Deutschland ganz viele Dressursport-Interessierte, die sich ein sehr gutes Bild von der Dressur machen können. Es gibt immer mal wieder schwarze Schafe, das stimmt, und es gibt auch grundsätzliche Dinge, die besprochen werden müssen – z.B. das Thema Abreiteplatz. Ich werde diesbezüglich in Kürze zu einem Event einladen, bei dem ich mit Topreitern, Richtern und Trainern spreche und klären möchte: Was ist akzeptabel und was nicht?

dressursport.kim: Haben Sie schon Gedanken, was sich ändern müsste?
Richenhagen: Die Grundsätze für den Dressursport sind ja über viele Jahrhunderte – kann man fast sagen – entstanden. Daran wollen wir nicht kratzen. Wir wollen viel eher noch mal ins Bewusstsein rufen: Was ist eigentlich gymnastizieren? Wie sieht richtige Anlehnung aus? Das alles mit Einbezug auf die riesigen Fortschritte in der Pferdezucht. Die Pferde sind heute wesentlich einfacher zu handhaben als noch vor 40-50 Jahren. Heute sind die Pferde gangfreudig und elegant, aber sie haben auch einen ‚Nachteil’: Sie haben einen wesentlich leichter formbaren Hals. Nimmt man als Reiter an, was das Pferd bietet, geht das Pferd oft zu eng. Oder man richtet das Pferd zu jung zu hoch auf, das machen dann Hinterhand und Rücken nicht mit – das sind die beiden häufigsten Fehler, die gemacht werden. Darüber muss man reden.

dressursport.kim: In dieser ganzen Betrachtung spielen natürlich auch die Richter eine große Rolle…
Richenhagen: Die Richter haben unglaublich große Bedeutung und ich glaube, sie sind sich ihrer Aufgabe bewusst. Wir haben aber immer noch Richter, die möglicherweise nicht ausreichend qualifiziert sind. Wir müssen noch mehr in die Richterausbildung investieren. Das reine Meckern und Schimpfen hilft nicht weiter, das trägt nur zu Verunsicherung bei. Wir müssen gemeinsam klarmachen: Was wollen wir? Wo wollen wir hin? Und dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Richter das auch umsetzen können.

Meine Vision ist, dass wir nicht nur Pferde haben, die gesund sind und denen es gut geht, sondern mein Anliegen ist, dass unsere Pferde glücklich sind.

Aber dann muss man wissen, wie ein Pferd glücklich wird. Und zweitens: Woran kann ich das erkennen. Das Erkennen – das muss die Spezialität der Richter sein und da sehe ich noch Ausbildungsbedarf.

dressursport.kim: Was halten Sie von der immer wiederkehrenden Idee der Berufsrichter?
Richenhagen: Ich denke, Berufsrichter sind automatisch meistens mehr befangen als Nicht-Berufsrichter. Wer unabhängig vom Reitsport ist und nicht durch Reiten Geld verdient, als Ausbilder oder Händler oder eben als Richter, ist natürlich unbefangener als jemand, der das beruflich macht. Die besten Richter sind die, die unabhängig sind. Die Deutsche Richtervereinigung hat zusammen mit der FN gerade einen Katalog erarbeitet zum Thema: ‚Unbefangenheit oder Befangenheit von Richtern‘, der jetzt sehr zeitnah veröffentlicht wird. (***Anm. der Red. Der Katalog wird in den kommenden Tagen auch bei dressursport.kim veröffentlicht.)

dressursport.kim: Kandare oder Trense – die Wahlfreiheit? Ein aktuelles Dauerthema, wie stehen Sie dazu? Es gibt immer wieder die These, dass die modernen Pferde zu kleine feine Mäuler haben für zwei Gebisse…
Richenhagen: Das ist Quatsch! Erstens ist die Kandare ein über Jahrhunderte bewährtes Gebiss und zweitens hat sich die Kandare weiterentwickelt und wurde immer feiner – genau wie unsere Pferde. Eine moderne Kandare gibt es in allen Größen und Maßen und natürlich ist es wichtig, dass die Kandare in das Pferdemaul perfekt passt. Dazu braucht man jemanden, der das beurteilen kann: einen guten Ausbilder beispielsweise, früher konnten dabei auch die Sattelmeister helfen. Eine passende Kandare findet auch in den modernen feinen Pferdemäulern Platz. Das Höchste, was man im Dressursport an Feinheit erreichen kann, ist mit der Kandare möglich. Ich bin aber nicht dagegen, dass es Prüfungen gibt, gerne auch Grand Prix-Prüfungen, die nur auf Trense geritten werden. Aber ich bin dagegen, diese beiden Zäumungsarten in einer Prüfung anzuwenden. Die Dressurrichter überschätzen sich da meiner Meinung nach, wenn sie sagen: ‚Wir können ohne Probleme Kandare und Trense in einer Prüfung richten.‘ Wenn man sich aber die Fakten anguckt, auch bei großen internationalen Turnieren, tun sich die Richter häufig schwer, vernünftige Platzziffern zu generieren. Wenn das also noch nicht mal in einer normalen Kandaren-Prüfung klappt, wie sollen sie es dann mit zwei verschiedenen Gebissarten auf die Reihe kriegen? Also,wenn es die Nachfrage gibt, können meinetwegen gerne Grand Prix-Prüfungen auf Trense ausgeschrieben werden, aber ich glaube nicht, dass das die Zukunft ist. Ich glaube, dass sich die Reiterei auf Kandare in den großen Prüfungen bewährt hat.

dressursport.kim: Ihr Blick auf den aktuellen Dressursport – was ist gerade das Wichtigste?
Richenhagen: Das feine tierfreundliche Reiten hat allergrößte Priorität – mit besonderem Schwerpunkt auf dem Maul. Wir haben das große Glück, dass wir mit Monica Theodorescu eine Bundestrainerin haben, die sich sehr früh mit der feinen Reitweise befasst hat. Da haben wir, glaube ich, die Nase vorne und das soll so bleiben. Das feine Reiten und das glückliche Pferd – das sind die Schwerpunkte.
Mir brennt noch auf der Seele zu sagen, dass sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung in Aufbruchstimmung befindet und dass wir genau wissen, was wir vorhaben. Wir nennen das hier in Warendorf ‚The wind of change‘, der kräftig durch die alten Gemäuer bläst.

Wir haben genug frische Ideen, um auch in Zukunft den deutschen Dressursport vorne an der Spitze zu behalten.