“Hammer-Erkenntnis”: Nicht ‚AUF‘, sondern ‚IN‘ der Zunge

Dr. Marc Koene widerlegt den Glauben, dass im Pferdemaul zu wenig Platz ist. In einem Pilotprojekt, dem eine tatsächliche Studie folgen soll, hat Koene völlig überraschende und neue Erkenntnisse über Gebisse im Pferdemaul gewonnen und erstmals auf dem Meeting des Internationalen Clubs der Dressurreiter (IDRC) präsentiert.

Es steht eine These im Raum, die besagt: Im Maul eines Pferdes ist nicht genug Platz für ein Trensen- und ein Kandarengebiss. Mit Bezug auf ‚Welfare of the horse‘ wird nicht zuletzt deswegen das Reiten auf Kandare stark kritisiert.
Der Team-Veterinär der deutschen Dressurreiter, Dr. Marc Koene, und sein Team sind dieser These auf den Grund gegangen. „Wenn man sich die Literatur und die Behauptungen zu diesem Thema betrachtet, sieht man, dass es dazu fast keine Untersuchungen gibt“, erklärt Koene. Und die Untersuchungen, die es gebe, beruhten auf Erkenntnissen von Röntgenbildern. „Das Problem dabei ist“, so Koene, „dass Gebisse aus Metall bestehen, wodurch man auf Röntgenbildern Artefakte bekommt und dann sieht man nicht mehr unbeeinträchtigt.“

Koene hat also überlegt:
• Was genau wollen wir wissen?
• Wo liegen die Gebisse?
• Wie viel Platz ist wirklich im Pferdemaul?
• Vergrößert sich der Abstand zwischen Ober-und Unterkiefer, wenn ein Gebiss (oder zwei) im Maul ist?
• Wird also das Pferd durch das oder die Gebiss/e gestört?
• Wo genau sitzen die Gebisse bei der Kandarenzäumung?

Der Sohn des Team-Vets, Mike Koene, hat sich auch schon in der Pferdeszene bereits einen Namen durch Drei-D-Druck-Innovationen wie das r3voband gemacht. Mit seiner Hilfe hat Koene Wassertrensen- und Kandarengebisse im Drei-D-Druck herstellen lassen – in FN- und FEI-Norm. „Diese Drei-D-Druck-Gebisse sind komplett aus Kunststoff und bilden deshalb beim Röntgen auch keine Artefakte“, erklärt Koene.

Es wurden vier Pferde verschiedener Größen und mit verschieden großen Maulspalten für die Untersuchung herangezogen.
Schritt 1: „Wir haben diese Vier erst mal ohne Gebiss stehend ins CT gestellt, um das Maul als solches zu betrachten. Es wird ja immer vom ‚Platz‘ in der Maulhöhle gesprochen, aber den gibt es gar nicht. Selbst ohne Gebiss füllt die Zunge die gesamte Maulhöhle aus. Es gibt keinen Freiraum.“
Schritt 2: Bei allen vier Pferden wurden dieselben CT-Aufnahmen mit dem drei-D-gedruckten Wassertrensengebiss wiederholt. Ergebnis: „Siehe da – die Wassertrense liegt gar nicht auf der Zunge, sondern sie liegt ca zwei Zentimeter ‚in‘ der Zunge“, war Koene überrascht. Die Zunge umgibt das Trensengebiss praktisch wie ein Schwamm. „Das ist neu, das wusste keiner. Alle haben immer gedacht, dass die Gebisse auf der Zunge liegen, deshalb wurden ja auch diverse anatomische Gebisse entwickelt.“
Schritt 3: Nun wurde der Abstand zwischen Ober- und Unterkiefer gemessen – mit und ohne Gebiss, um zu erforschen, ob das Gebiss das Pferd stört. Ergebnis: „Der Abstand bleibt komplett gleich.“
Schritt 4: Nun kam das drei-D-gedruckte Kandarengebiss hinzu. Ergebnis: „Auch das Kandarengebiss sinkt in die Zunge ein, ist genauso eingebettet wie die Trense und liegt etwa zwei Zentimeter neben dem Trensengebiss. Die beiden Gebisse berühren sich also nicht.“
Schritt 5: Im nächsten Schritt wurde das Annehmen der Kandarenzügel simuliert. „Dadurch verringert sich der Abstand zwischen Kandaren- und Trensengebiss minimal, aber auch hier berühren sich die Gebisse nicht und es ändert sich auch nichts an der Öffnung der Maulhöhle.“

 

Koene betont, dass es sich bei dieser kleinen Studie mit vier Pferden nur um ein Pilotprojekt handelt und dass man diese Untersuchungen, um sie wissenschaftlich belastbar zu machen, noch mit sehr viel mehr Pferden wiederholen müsste. Dennoch ist für den Tierarzt klar: „Die These, mit der wir vorgetrieben werden, dass es viel zu wenig Platz für die Kandaren-Zäumung im Maul des Pferdes gibt, stimmt nicht! Und dass die Gebisse im Maul stören – stimmt auch nicht!“

Koenes Gedanken gehen aber auch noch in eine andere Richtung: „Vielleicht müssen wir einige Gebiss-Konzepte überdenken. Wenn wir nun wissen, dass die Gebisse nicht auf, sondern in der Zunge eingebettet liegen, dann sind einige Gebisse sicher nicht geeignet.“ Häufig höre man beispielsweise den Gedanken, dass die dickeren Gebisse schonender sind für die Pferde als die dünneren – ist dieser Gedanke mit dem neuen Wissen noch tragbar? Sind doppelt gebrochene Gebisse wirklich pferdefreundlicher? „Und dann gibt es eine Menge Gebisse mit Rollen, die auf der Zunge rollen sollen – aber nach dem, was wir jetzt wissen, ist das Quatsch. Am besten ist es, wenn die Gebisse sich ‚friedlich‘ in die Zunge reinlegen können.“

Diese Erkenntnisse seien „ein Hammer“, betont Koene und natürlich sei eine Veröffentlichung geplant. Vorab hat er seine Untersuchungsergebnisse schon einmal beim Meeting des Internationalen Clubs der Dressurreiter (IDRC) und des Internationalen Clubs der Dressurausbilder (IDTC) Anfang Oktober in Belgien präsentiert***. Nicht zuletzt, weil diese Erkenntnisse in der Diskussion um ‚Kandare optional – ja oder nein’ eine gewichtige Rolle spielen könnten. „Nach unseren jetzigen Erkenntnissen gibt es keinen Grund, die Kandare optional zu machen oder gar verbieten zu wollen“, erklärt Koene mit Nachdruck.

***Weitere Infos zum Meeting des IDRC finden Sie HIER.