„… an meine Grenzen und darüber hinaus“
Es geht um das postolympische Loch, um postolympische Chancen und überschrittene Grenzen, um etwas andere Winterpläne und einen Abschied. dressursport.kim in einem sehr offenen, intensiven Gespräch mit Team-Olympiasieger Frederic Wandres.

Olympiasieger Frederic Wandres – offen, ehrlich, reflektiert.
(Foto: ©Lars Ligus)
dressursport.kim: Olympia ist das Größte, keine Frage, aber was ist danach. Nicht selten haben wir davon gehört, dass Reiter, Sportler überhaupt, nach diesem Sensationserlebnis in eine Art Loch rutschen – zumal, wenn man mit einem außerordentlich spannenden Verlauf Gold gewonnen hat. Du warst der einzige Olympia-Neuling im Team, hast Du etwas in der Art erfahren?
Frederic Wandres: Um ehrlich zu sein, war das bei mir direkt nach den Olympischen Spielen nicht so. Da dachte ich: Was, welches Loch soll das sein? Es geht alles weiter und wir sind immer noch dieselben. Aber so langsam schleicht sich etwas an – je weiter wir Richtung Ende des Jahres kommen. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt ganz langsam realisiere, was wir da eigentlich geschafft haben – mit sehr viel Hilfe von allen, die beteiligt waren. Kurz nach Paris war natürlich alles toll und atemberaubend. Das ist es absolut immer noch, aber ich hatte gefühlt nicht wirklich das Verständnis dafür, was das eigentlich bedeutet. Auch jetzt habe ich immer noch Pressetermine, das mediale Interesse ist immer noch so groß, dass man wirklich denkt: ‚Mein Gott, das muss wirklich etwas Besonderes sein, was wir da abgeliefert haben.‘ Es ist ganz anders als nach einer Europa- oder einer Weltmeisterschaft, das kann man überhaupt nicht vergleichen.
dressursport.kim: Pressetermine, mediales Interesse hast Du erwähnt, auch sonst hat sich einiges nach Olympia geändert…
Frederic Wandres: Absolut, durch die Olympischen Spiele haben sich ganz neue Sparten für mich eröffnet – in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich habe das Gefühl, ich sehe mich in der Verpflichtung, der Gesellschaft etwas Soziales wiedergeben zu wollen: Ich bin der Überzeugung, dass wir Profisportler wieder mehr an der Basis in den lokalen Reitbetrieben vor Ort sein sollten, um uns nahbarer und zugänglicher zu machen. Eltern würden sich bestimmt freuen und ihr Kind noch mehr unterstützen, wenn sie wüssten, dass in regelmäßigen Abständen mal ein Olympiasieger vorbeischaut und nach dem Rechten sieht – auf ehrenamtlicher Basis. Von meiner Seite dann sozusagen als Investition in die nächste Generation, die Jugend.
Wir planen beispielsweise im Herbst auch eine Road Show in Kombination mit der ‚Doitright-Kampagne‘ und ‚Fair Play’ der Familie Anrecht. Hier soll an unterschiedlichen Terminen mit den Besuchern konkret über reiterliche Probleme und Lösungsideen gesprochen werden – sehr praxisbezogen. All das sind Dinge, die vor Olympia nicht so präsent waren. Dinge, die natürlich auch Zeit in Anspruch nehmen, aber sich hoffentlich auch Beliebtheit erfreuen.
dressursport.kim: Kommen wir noch mal auf das postolympische Loch zurück. Hört man heraus, dass es sich auch bei Dir ein wenig anschleicht?
Frederic Wandres: Die Olympischen Spiele sind für uns Reiter, generell alle Athleten, eine ‚emotional aufreibende Phase‘. Wir wissen: Ich kann nur alle vier Jahre oder vielleicht sogar nur einmal im Leben dorthin. Unser emotionales System fährt in dieser intensiven Zeit und auch davor sozusagen auf Hochtouren. Dann fällt man unter Umständen hinterher in ein Loch, weil der emotionale Tank erstmal vorübergehend leer ist. Wie man es auch nennen mag, dieses kleine Löchlein kommt. Momente, in denen man sich sagt, man lässt im Alltag auch mal Fünfe gerade sein. Ich sage mir das, obwohl ich sonst im Pferdesport absoluter Perfektionist bin. Und dann ‚beruhige‘ ich mich mit dem Gedanken: Wir haben auch schon richtig was gerockt und was hinbekommen dieses Jahr.
Ein Beispiel: Dass ich Ende September bei unserem Hausturnier einfach mal auf einem Stuhl gesessen und zugeschaut habe, das hätte es sonst nicht gegeben. Früher hätte ich sicher das Gefühl gehabt, ich muss jetzt ‚irgendwas’ reiten. Aber jetzt dachte ich: Es muss nicht unbedingt sein. Du hast dich jetzt den ganzen Sommer auch im Kopf so darauf fokussiert, du musst auch mal wieder ein bisschen deine Batterien auftanken und es dreht sich alles weiter. Wenn du mal ein Turnier nicht das Gefühl hast, du musst in vorderer Reihe mittanzen – das kommt schon alles wieder. Aber es ist auch mal gut, dass ich das Jahr etwas ruhiger ausklingen lassen kann.
dressursport.kim: Aus Deinen Worten hört man schon heraus, wie wahnsinnig anstrengend die Zeit vor und während Olympia war…
Frederic Wandres: Das Ziel Olympia hat in mir und Lars und allen, die daran beteiligt waren, absolut gebrannt. Ich bin an meine Grenzen und darüber hinaus gegangen. Ich habe alles dafür gegeben. Ich glaube, wenn du irgendjemanden hier aus dem Stall fragen würdest, sie würden sagen: Freddy ging über das, was normal ist, immer hinaus, um das zu erreichen.
dressursport.kim: Was jetzt nicht bedeutet, dass Bluetooth viermal am Tag geritten wurde – etwas überspitzt formuliert?
Frederic Wandres: Nein, natürlich nicht, das bezieht sich gar nicht in erster Linie aufs Training, sondern auf alles drumherum. Ich habe eine super Pflegerin, Ksenia, aber ich hatte immer das Gefühl, ich muss alles selbst machen. Ich vertraue Ksenia zu 100 Prozent, das hat damit nichts zu tun, aber ich wollte unbedingt die absolute Verbindung zu Bluetooth spüren. Ich bin selbst immer mit ihm grasen oder spazieren gegangen. Man bekommt dadurch eine engere Verbindung zu seinem Pferd. Weil du so viel zusammen bist, vereinfacht es auch das Reiten, weil du dein Pferd in und auswendig kennst. Du weißt genau, jetzt ist Vorsicht geboten, jetzt muss das, jetzt muss das und jetzt muss ich die Bandage nochmal selber wickeln oder so. Das ist ein Kopfding. Das musste vielleicht gar nicht sein, aber ich brauchte das so. Sonntagnachmittag bin ich noch mal schnell in den Stall gegangen, habe nochmal nach dem Rechten geschaut, die Decke gewechselt und und, und. Als Außenstehender hat sicher so mancher gedacht, dass ich total übertreibe, das will ich gar nicht leugnen. Aber für mich musste es genauso sein.
dressursport.kim: Das Jahr ausklingen lassen – wie sieht also Deine weitere Planung aus?
Frederic Wandres: Der Plan richtet sich natürlich in erster Linie immer nach den Pferden. Wie sind sie drauf und was kann der Plan für sie sein. Und danach kann ich schauen, ob das auch für mich passt. Duke werden wir dieses Jahr noch verabschieden – obwohl er noch topfit ist! Er hat alle Türen geöffnet. Ohne dieses Pferd wäre ich lange nicht dort, wo ich bin. Und bei Bluetooth sind sich alle Beteiligten einig, dass er auch die Chance bekommen muss, mal richtig runterzufahren – auch im Kopf. Er hat die vergangenen beiden Jahre sehr viel geleistet: Mit jeweils den Deutschen Meisterschaften, Aachen, Championat und dann war er in den Wintermonaten ja auch mit in Wellington. Mit ihm möchte ich den Winter wirklich in Ruhe nutzen, auch noch mal an kleinen Stellschrauben zu drehen. Zwischen den Turnieren hat man die Gelegenheit nicht. Zwischen Balve und Aachen ändert man nichts Grundlegendes. Man hat immer im Hinterkopf: ‚Wenn du was anfasst, was du vielleicht verbessern willst, bedeutet das im Umkehrschluss, es kann auch erstmal schlechter werden.‘ Es gibt bei Bluetooth nichts Grundlegendes zu ändern, aber die ein oder andere Stellschraube wollen wir in Angriff nehmen.
dressursport.kim: Im vergangenen Winter hattest Du ihn in Vorbereitung für die olympische Saison mit in Wellington, hast ihn dort aber sehr gezielt nur an einem Wochenende turniermäßig vorgestellt. Ist das wieder der Plan?
Frederic Wandres: Den Plan hatten wir so mit Monica (Theodorescu) abgesprochen und der ist ja auch super aufgegangen. Es war unser ganz individueller olympischer Vorbereitungsplan. Einen ganz festen Plan für den kommenden Winter gibt es noch nicht. Fest steht, dass Bluetooth in diesem Jahr kein Turnier mehr gehen wird. Welche Turniere wir Anfang 2025 planen, überlegen und besprechen wir noch. Er hat jetzt Spaßprogramm, ist viel auf der Rennbahn und soll erst seine Batterien auftanken, bevor wir wieder mit dem Training beginnen. Und zum Thema Wellington – das wird etwas anders. Ich war jetzt vier Winter hintereinander in Wellington. Das war super und immer eine gute Vorbereitung für mich für die grüne Saison in Europa. In diesem Jahr wird Lars (Ligus) das Zepter dort übernehmen, unser aufgebautes Netzwerk nutzen und weiter ausbauen, um unseren Betrieb dort mit unseren Kollegen top zu präsentieren. Ich fliege alle paar Wochen für ein paar Tage rüber, um zu unterstützen. Aber meine Turnierpferde bleiben hier, so dass ich auch in Europa Turniere reiten kann und meinen Einstieg mit Bluetooth hier in Europa haben werde. Von unserem Team wird Evelyn Eger in diesem Jahr mit nach Florida gehen, ein paar Turnierpferde mitnehmen und in alles dort drüben erstmals hinein schnuppern.
dressursport.kim: Duke wird verabschiedet, Bluetooth bleibt in Europa und was kommt hinter Deinen beiden Toppferden hinterher?
Frederic Wandres: Ja, auf den beiden lag natürlich klar der Fokus, so dass gar nicht die Zeit blieb, um den Pferden, die hinter diesen großen Stars heranwachsen, auch die richtige Aufmerksamkeit und Bühne zu schenken. Ich habe sie natürlich weiter trainiert und wenn Monica da war, die Nachwachsenden auch mit ihr geritten, aber nicht turniermäßig vorgestellt. Deshalb hatte ich auch vier Wochen nach Paris die Chance genutzt und Joy Game auf dem Anakenenhof für das Louisdor-Finale qualifiziert. Das hat super geklappt. Ich hoffe, dass er, wie meine anderen Pferde, den Louisdor-Preis als Sprungbrett nutzen kann. Im Frühjahr bin ich in diesem Jahr hier und möchte mit ihm ausgewählte Turniere reiten und schiele eventuell auch schon Richtung Balve. So wie Bluetooth im Schatten von Duke groß geworden ist, wächst im Idealfall Joy Game im Schatten von Bluetooth heran.
dressursport.kim: Joy Game wächst heran, wer ist da noch?
Frederic Wandres: Ich habe noch einen Achtjährigen, einen Sohn v. Vilancio mal De Niro. Er ist schon ein sehr sicheres Lektionspferd. Ihm fehlt noch die letzte Kraft für eine ganze Prüfung, aber alles, was man bei ihm anfragt, macht er schon super zuverlässig und gut. Er ist absolut ein Kandidat für den Louisdor-Preis im kommenden Jahr. Außerdem ist dort noch eine neunjährige Dante Weltino-Tochter. Sie hat sehr viel von ihrem Vater mitbekommen und wird in der weiteren Turnierplanung nächstes Jahr hoffentlich auch eine Rolle spielen. Diese Youngster stehen natürlich bei uns auf dem Hof in erster Linie in der Vermarktung, also im Verkauf. Daher muss man mal sehen, wie lange die ein oder andere Pferdepartnerschaft besteht, aber auf dem Hof Kasselmann kommen immer wieder neue tolle Pferde ‚ins Spiel‘. Einige haben wir auch noch, bei denen ich die Winterarbeit abwarten möchte und dann sehen wir weiter. Es bleibt spannend.
dressursport.kim: Die Pferde sind Deine täglichen Sport- und Arbeitspartner, mit ihnen steht und fällt…
Frederic Wandres: …letzten Endes die Motivation. Die Motivation, die man braucht, um das alles zu schaffen, sowohl körperlich als auch im Kopf, und diese ganzen Herausforderungen, diese Motivation nimmst du dir immer aus den Pferden, die du hast. Und natürlich, wenn du auf deiner Berittliste dieses eine Pferd hast, bei dem du denkst: Da spüre ich etwas Besonderes, von dem erhoffe ich mir etwas, diese Pferde lassen dich morgens immer wieder neu motiviert aufstehen und hoffen: Vielleicht klappt es nochmal. Wenn du diese Pferde nicht hast, und die Zeit wird es auch mal geben, das ist normal, dann muss man durch die Erfahrung und das reiterliche Können was aus ihnen machen. Aber diese speziellen Pferde braucht man zwischendurch. Das ist wie eine Droge…
dressursport.kim: Eine ‚Droge‘, die man braucht, weil es kein Nine to Five-Job ist, sondern ein 24-Stunden-Job?
Frederic Wandres: Ja genau, für mich ist es ein Fulltime-Ding rund um die Uhr 24/7.