Stabilität vs. Mobilität

In Teil II beleuchtet Gastautorin Imke Schuon, warum ‘richtig sitzen’ eigentlich ‘richtig bewegen’ heißen müsste, wo beim Reiten ein ökonomischer Minipendel im Dauereinsatz ist und was es mit der ‘Arbeitsstellung’ der Bauchmuskulatur auf sich hat.

(Wer Teil I verpasst hat – HIER geht’s zu Teil I)

 

Häufig werden speziell zur Verbesserung der Aussitzbewegung im Trab Stabilisationsübungen für den Rumpf empfohlen. Eine gewisse Kraftausdauer ist selbstverständlich hilfreich und richtig. Allerdings führt der Auftrag, für ein besseres Aussitzen im Trab„stabiler“ im Rumpf zu bleiben, gerne zu einer Festigkeit, die gar kein Mitschweingen des reiterlichen Beckens mehr zulässt. In diesem Falle handelt es sich also um ein falsches Bewegungsbild. Die Stabilität während des Aussitzens entsteht nicht durch die unbewegliche Wirbelsäule, sondern viel mehr durch das „Absorbieren“ der Pferdebewegung mit Hilfe der beweglichen Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke.

Wie ist es möglich im Lendenwirbelbereich mobil und im oberen Wirbelsäulenbereich stabil zu sein?

Zwischen Beckenposition und Oberkörperaufrichtung besteht ein enger funktioneller Zusammenhang, der auch andere Körperbereiche beeinflusst.

Beugemuster – wird das Becken abgekippt, rundet sich auch die Wirbelsäule im Brustwirbelsäulenbereich, die Schultern „fallen“ nach vorne, die Ellenbogen entfernen sich vom Körper und die Handinnenseiten werden nach unten gedreht. Man spricht vom sogenannten Beugemuster.
Streckmuster – in umgekehrter Richtung verläuft das sogenannte Streckmuster. Bei aufgestelltem Becken (Richtung Hohlkreuz) wird in weiterlaufender Bewegung auch die Brustwirbelsäule gestreckt, die Schulter werden übertrieben zurückgenommen und die Handinnenflächen drehen eher nach oben.

Für das Reiten ist eine differenzierte Auflösung dieses Zusammenhanges notwendig. Der obere Rumpfbereich (Schultergürtel und obere Brustwirbelsäule) sorgt für Aufrichtung und Stabilität. Im unteren Rumpfbereich (Lendenwirbelsäule) ist hingegen ein hohes Maß an Bewegung erforderlich.

 

Eine gute Übung zur Verbesserung von Wahrnehmung und Mobilität der Lendenwirbelsäule: der fließende Übergang von aufgestelltem über das neutrale hin zum abgekippten Becken mit möglichst ruhigem Oberkörper.

 

Bauch- und Rückenmuskulatur arbeiten in Form eines ökonomischen Minipendels und korrigieren den Oberkörper immer wieder in die Senkrechte zurück. Was wir als aufrecht getragenen, scheinbar ruhigen Oberkörper wahrnehmen, ist ein ständiger, dynamischer Ausgleich von Bauch- und Rückenmuskulatur.
Sofern man sich nicht irgendwo anlehnt oder festhält, ist „sitzen“ niemals statisch zu verstehen, sondern eine Bewegung für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes. Um so mehr gilt für das Reiten: „richtig sitzen“ heißt „richtig bewegen“.

 

Die Bauchmuskulatur in Arbeitsstellung bringen – Oberkörperaufrichtung

Die Aufrichtung des Oberkörpers, oder als synonymes Bild „das Anheben des Brustbeines“, hat für die Wirkung der Bauchmuskeln eine wichtige Funktion. Jeder Muskel hat eine optimale Arbeitslänge. Sind Ursprung und Ansatz eines Muskels angenähert oder auseinandergezogen, verliert er an Kraft. Die optimale Arbeitslänge ist dann gegeben, wenn sich das Gelenk, welches der Muskel bewegt, in einer Mittelstellung befindet.
So hängt die Länge der Bauchmuskeln vom Abstand des Rippenbogens (Ursprung) zu den Beckenknochen (Ansatz) ab. Ist der Oberkörper eingesunken, nähern sich Ursprung und Ansatz der Bauchmuskulatur an, die Wirbelsäulengelenke befinden sich in einer Endposition -> der Muskel verliert an Kraft und Wirksamkeit. Gerade für den Hauptbeweger des Beckens eine ungünstige Voraussetzung, um das Becken mitschwingen zu lassen.

 

Abb. li.: Ursprung und Ansatz der Bauchmuskulatur angenähert
wenig Kraft. Abb. re.: Oberkörper senkrecht
optimale Arbeitslänge für die Bauchmuskulatur

 

Imke Schuon, geb. Schlömer

 

Über die Autorin:

Imke Schuon ist Physiotherapeutin, arbeitet in eigener Praxis und als Dozentin an der Physiotherapieschule der Universitätsklinik in Münster. Sie reitet seit ihrem zehnten Lebensjahr und entwickelt das Thema „Funktionelles Reitertraining“ gemeinsam mit Sportwissenschaftler Dr. Josef Kastner und Pferdewissenschaftlerin Marieke Trapp in einer Arbeitsgruppe (Kastnermotion) stetig weiter. Seit einigen Jahren gehört sie zum Trainerteam bei Riesenbeck International und arbeitet mit zahlreichen Reitern aus dem „großen“ und „kleinen Sport“ zusammen.

 

Wer sich noch mehr informieren möchte:

Webseite:
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Buchempfehlung: „Setz Dich in Bewegung“ Kasnter, Hübner, Schlömer

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„Funktionelles Training für Reiter“ im FobiZe Bremen und Kiel
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