“Nein, ich leide nicht, aber…”

„Und wenn die Pferde gut auf dem Turnier waren, dann erzählen sie das zu Hause den Kollegen.“ dressursport.kim durfte sich zu einem intensiven Gespräch mit Cheftrainerin Monica Theodorescu treffen. 

Es geht um Persönlichkeiten, um Pferde, die erzählen, um „Nein, warte, brav!“, Korrektur und Reflexion, Kungelei, immer wieder das Pferdewohl, verblüffte Reiter und die Freude eines nie endenden Weges…

👍 Einer meiner persönlichen Lieblingssätze aus diesem Interview vorab: “Aber man muss lernen und sich verbessern wollen und sich selbst einschätzen können, sonst habe ich auf oder am Pferd nichts zu suchen.”

Immer ganz nah am Pferd: Monica Theodorescu
© www.sportfotos-lafrentz.de

dressursport.kim: Monica, leidest Du unter dem momentanen Image des Pferdesports in der Gesellschaft?

Monica Theodorescu: Nein, ich leide nicht, aber es ist schade und traurig, dass einige, und häufig die immer gleichen Menschen, so sehr das Negative suchen. Nicht pferdegerechtes Handeln muss geahndet werden, das ist keine Frage. Aber ich bin ein positiver Mensch und ich liebe, was ich tue, und das lasse ich mir auch nicht nehmen – auf gar keinen Fall. Ich würde mir manchmal wünschen, dass Zuschauer, die Fragen haben, noch mehr mit uns in den Austausch gehen. Es gibt Pferde, die auf einem Turnier mal verspannt oder ängstlich sind. Dann arbeiten wir daran, sie mit korrektem Reiten nach unserer Reitlehre wieder an die Hilfen zu bekommen und zur Losgelassenheit zu bringen, was uns in der Regel dann auch gelingt. Das ist auch ein Lerneffekt.

Es ist schade für die Menschen, die sich nur auf das Negative fixieren. Negative Vorkommnisse sollte man nicht verdrängen, man muss sich damit auseinandersetzen. Aber wenn man sich nur noch darauf konzentriert, dann hört man auf zu leben.

dressursport.kim: Wie bewertest Du die aktuelle Situation des Pferdesports?

Monica Theodorescu: Ich sehe unseren Sport im Moment sehr positiv. Ich spreche natürlich für die Dressur, aber das gilt auch grundsätzlich für den Pferdesport. Den Pferden im Topsport geht es so gut wie noch nie. Sie werden erstklassig umsorgt und gepflegt. Ja, es sind Leistungssportler und wir trainieren sehr bewusst mit ihnen, aber in meiner Anwesenheit niemals exzessiv. Wir arbeiten sehr viel mit positiver Verstärkung, also Lob, und positiver Kommunikation – einerseits durch den Reiter, aber auch ich gehe vom Boden aus mit Leckerchen auf die Pferde zu. Sie kennen mich und ich sie. Ich möchte sie beim Namen rufen können und sehen, dass sie reagieren. Das macht nicht nur mir viel Freude.

dressursport.kim: Was ist Deine Grundphilosophie als Cheftrainerin?

Monica Theodorescu: Top-Sportpferde sind Persönlichkeiten. Es gibt keine blöden Pferde oder gar ‚blöde Gäule‘, jedes Pferd hat seine Stärken und Schwächen, so wie wir auch. Ich möchte, dass die Stärken gesehen werden und zum Vorschein kommen, dass das Pferd strahlen kann. Das geht nur, wenn es sich wohl fühlt. Beim Ausbilden und Trainieren geht man fair mit dem Pferd um, man beschäftigt sich intensiv mit dem Pferd, auch vom Boden aus. Ich führe das Pferd, gehe mit ihm spazieren, es wird erzogen und gepflegt. Es muss lernen, zum Beispiel brav zu stehen und vieles mehr. Das ist auch Arbeit mit dem Pferd. Je mehr sich der Reiter mit seinem Pferd beschäftigt, umso besser, umso mehr kennt und versteht er sein Pferd und umgekehrt.

dressursport.kim: Was würdest Du sagen: Wie ordnen Toppferde Turniere ein?

Monica Theodorescu: Pferde wissen, wann es darauf ankommt. Die Top-Sportpferde wollen aufs Turnier. Sie merken das schon, wenn die Turnierkiste gepackt wird oder wenn man Teile der Aufgabe übt. Sie wissen auch, dass sie nach dem Turnier wieder auf die Wiese oder auf‘s Paddock dürfen und zum Ausreiten gehen. Pferde wissen, dass sie nach dem Turnier eine Regenerationsphase, quasi Urlaub bekommen.

Ein Turnier bedeutet natürlich auch in gewisser Weise Stress – es ist laut, da sind viele Menschen, das Licht ist anders als zu Hause, aber Pferde lernen damit umzugehen, weil es für sie auch zur Gewohnheit wird und sie wissen, dass sie danach wieder nach Hause fahren. Und wenn die Pferde gut auf dem Turnier waren, dann erzählen sie das zu Hause den Kollegen.

dressursport.kim: Wie genau meinst Du das: Sie erzählen es den Kollegen?

Monica Theodorescu: Pferde kommunizieren untereinander. Sie sind stolz, wenn es gut geklappt hat. Das sieht man, das spürt man. Und die Pferde sprechen natürlich miteinander. Sie suchen sich ihre Kollegen aus, mit denen sie kommunizieren wollen, mit anderen wollen sie nichts zu tun haben, wieder andere nerven sie – das ist schon auch wie bei uns. Wenn man täglich mit Pferden zu tun hat, spürt man das. Man sieht und erkennt ihre Kommunikation und das ist es, was so wahnsinnig viel Spaß macht. Ich könnte Hunderte von Beispielen aufzählen wie Pferde kommunizieren und dann muss man bedenken: Das ist nur das bisschen, was wir sehen und erkennen und das ist nur ein Bruchteil von dem, was zwischen den Pferden wirklich passiert.

Mein Vater hat schon immer gesagt: Die Pferde verstehen uns, aber wir verstehen sie viel zu wenig. Wir wissen heute immer mehr, haben ein besseres Auge dafür und uns hilft auch die Wissenschaft. Obwohl wir im Grunde auch Wissenschaftler sind. Ich würde mich schon auch als Pferdewissenschaftler bezeichnen wie viele andere, die jeden Tag Pferde beobachten und mit ihnen zu tun haben.

dressursport.kim: Warum können wir diese wunderbare Seite des Pferdesports nicht mit mehr Bedeutung vermitteln?

Monica Theodorescu: Negativnachrichten lassen sich immer besser vermitteln, das ist nicht nur in unserem Sport so. Man muss nur die Nachrichten sehen. Tatsache ist aber auch, dass es diese Negativnachrichten gibt, die man nicht unberücksichtigt lassen darf.

Ich bin früher auch korrigiert worden, wenn ich ungeduldig wurde oder zu ehrgeizig war und vielleicht die Einerwechsel zu oft geübt habe. Aber ich bin korrigiert worden, da gab es auch keine Entschuldigung. Das ist wichtig. Dann habe ich mich selbst reflektiert und es das nächste Mal besser gemacht.

dressursport.kim: Was fehlt heute vielleicht – das Korrigiert-Werden oder das Reflektieren?

Monica Theodorescu: Naja, vielleicht wird noch zu wenig korrigiert? Wobei ich sagen kann, dass im Spitzensport sehr viel korrigiert wird und sich auch schon sehr viel zum Positiven verändert hat. Ich denke, wir müssen noch mehr an der Basis ansetzen: Bei Richtern, aufsichtführenden Richtern, Trainern, Reitern und Besitzern– alle Pferde müssen fair und gerecht behandelt werden. Wir haben unsere Richtlinien und die Reitlehre – sie gibt alles her. Ich kenne keine bessere.

dressursport.kim: Am Ziel kann man wohl nie sein, aber wo können wir ansetzen, um die Situation für die Pferde weiter zu verbessern?

Monica Theodorescu: Überall. Im Spitzensport sind wir mitten in der Umsetzung. Auf den Topturnieren funktioniert diese Umsetzung zu 95 Prozent sehr gut. Auf national kleineren Turnieren spielen auch oft die Kosten für Tierärzte, Aufsichtshabende, Reitplatzbeschaffung etc. eine Rolle, aber das darf keine Entschuldigung sein. Den Richtern oder Stewards darf man auch nicht zumuten, 16 Stunden am Stück im Einsatz zu sein. Aber das verursacht natürlich Kosten. Auch die Tierärzte dürfen nicht nur ab und zu mal ‚über den Zaun gucken‘. Alle, die vor Ort sind, müssen sich im Sinne des Pferdewohls korrekt an die Regeln halten. Vor zehn Jahren haben wir einen Kriterienkatalog für den Abreiteplatz entwickelt, der müsste in Fleisch und Blut übergehen. Wir haben ihn nicht ohne Grund erstellt und irgendwie wird er nach und nach etwas weniger korrekt beachtet.

Monica Theodorescu – auch immer im Austausch mit den Offiziellen.
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dressursport.kim: Du sagst, im Spitzensport seid Ihr mitten in der Umsetzung, also muss sich das Ansetzen zur Veränderung eher auf die breite Basis konzentrieren?

Monica Theodorescu: Man muss immer an der Basis ansetzen. Im Verband wird sehr viel gute Jugendarbeit betrieben. Das sind Reiter aus den Landes- und Bundeskadern, die an den Stützpunkt nach Warendorf kommen und an Lehrgängen teilnehmen, Seminare und breit gefächerte Module rund um Haltung, Regelwerk und Management erhalten. Das sind alles Jugendliche, die im Kader sind oder nah dran, damit haben wir aber noch nicht den Breitensport erreicht. Da muss der Verband ran – der Dachverband und die jeweiligen Landesverbände. Da scheint noch einiges im Argen; beispielsweise, dass immer dieselben Richter eingeladen werden. Da entsteht doch der Eindruck, dass ‚Kungelei‘ hier und da eine Rolle spielt. Die meisten Wochenenden bin ich auf den größeren Turnieren mit den Kaderreitern unterwegs, aber es wird mir doch immer wieder zugetragen.

dressursport.kim: Das bedeutet, dass durch ‚Kungelei‘ manchmal das Pferdewohl in den Hintergrund rückt?

Monica Theodorescu: Das darf auf keinen Fall passieren. Die Frage nach dem Pferdewohl muss man sich immer wieder stellen, jeder einzelne, der mit Pferden zu tun hat. Die Frage nach den Rechten der Pferde. Oder: Mit welchem Recht gehen wir so oder so mit den Pferden um? Wir dürfen das nur – und das ist auch der Leitsatz der FEI – wenn wir sie gut behandeln und ihnen keine Schmerzen oder Schaden zu fügen. Dazu gehört natürlich auch, dass wir kein lahmendes Pferd reiten oder ‚ein bisschen lahm‘. Das geht nicht. Ein Pferd sagt nichts. Sie zeigen es uns, aber sie haben keine Stimme. Die Verantwortung liegt beim Reiter und/oder Trainer, egal auf welchem Niveau. Nicht jeder ist ein großer Könner im Sattel, es passieren auch Fehler, weil man es nicht gut genug kann.

Aber man muss lernen und sich verbessern wollen und sich selbst einschätzen können, sonst habe ich auf oder am Pferd nichts zu suchen.

dressursport.kim: Auch bei Könnern kann es allerdings mal zu nicht völlig harmonischen Situationen kommen…

Monica Theodorescu: Das stimmt, es gibt selbstverständlich Momente im Training, die nicht zu 100 Prozent harmonisch sind. Wenn wir eine gewisse Kommunikationsebene mit dem Pferd haben, dürfen und müssen wir auch mal ‚nein‘ sagen, aber immer fair, so dass das Pferd es versteht und danach muss immer das Lob kommen. Und das machen Spitzenreiter: „Nein, warte, brav!“ Diese Kommunikation ist immer da. Und das erwarte ich auch, dass die Reiter mit ihren Pferden sprechen. Sie verstehen vielleicht nicht die Worte, aber doch was gemeint ist.

dressursport.kim: Dass Pferde uns oft schneller verstehen, als uns bewusst ist, ist nahezu ein tägliches Phänomen?

Monica Theodorescu: Ja absolut, sehr oft erlebt man, dass man sich im Trab oder Galopp überlegt, Mitte der nächsten langen Seite einen Übergang zu reiten. Und schon pariert das Pferd durch. Dann sind die Reiter völlig verblüfft, weil sie ja nur daran gedacht haben. Dann schmunzele ich und sage: ‚Du hast es ihm offensichtlich auch schon gesagt. Du hast es schon im Kopf gehabt.‘ Wir sind langsam und haben eine lange Reaktionszeit, Pferde nicht.

dressursport.kim: Pferde auszubilden – was bedeutet das für Dich?

Monica Theodorescu: Pferde auszubilden ist ein langer Weg, der nie aufhört. Man hört nie auf zu lernen. Das muss man auch mit Begeisterung tun – immer wieder, jeden Tag. Ich muss mich dazu nicht zwingen. Das ist schön. Man muss es sich immer wieder vor Augen führen und diesen Weg empathisch gestalten. Dann macht es Freude.

Ganz herzlichen Dank für das intensive Gespräch!