Lars Ligus/Teil2 – 24/7 für das Pferd denken

In Teil 1 mit Lars Ligus haben wir erfahren, wie er sein Leben als ‚Alles in einem‘ erlebt, wie er in ‚Freddys Ohr‘ kam und ihr gemeinsamer Weg bisher aussah. In Teil 2 geht es um den Andalusier-Pinto-Mix Fantastico, Tetris spielen, den schlafenden Freddy, warum 13.09 und 13.12 Uhr ein riesiger Unterschied sind und um die Frage des Privatlebens für Grooms…

dressursport.kim: Lars, wie bist Du überhaupt ans Pferd gekommen?

Lars Ligus: Eigentlich ist es witzig. Ich habe vier Schwestern, keine davon reitet, und ich bin der Jüngste und wollte von klein an schon immer aufs Pferd. Ich weiß tatsächlich nicht, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin. Ich hatte ein Schaukelpferd als Kind, auf dem saß ich immer und Pferde gingen nie aus meinem Kopf raus. Mit vier habe ich bei uns im Ort, in Crailsheim, angefangen zu voltigieren, mit sechs habe ich meinen ersten Reitunterricht bekommen. Beim Landestrainer der Ponyreiter Baden-Württemberg, Rudi Brügge, habe ich damals reiten gelernt. Und mit zwölf bekam ich mein erstes eigenes Pferd: meine Eltern haben mir einen zweieinhalbjährigen Weideunfall gekauft, ein Andalusier-Pinto-Mix, nicht angeritten für 1.000 Euro – so ging das los. Fantastico hieß er. Ihn habe ich dann selbst angeritten und – immerhin – ich habe es geschafft, mit ihm mein großes Reitabzeichen in Marbach zu machen, damals war er gerade fünf und ich 15.

dressursport.kim: Das ist definitiv ungewöhnlich. Wie ging es weiter?

Lars Ligus: Mit 16 habe ich eine Bereiterlehre bei Hubert Schulze Rückamp auf dem Hubertushof angefangen. Da kam ich mit meinem Ein und Alles Fantastico an, aber Schulze Rückamp hat mir ziemlich schnell klar gemacht, dass dieses Pferd keine Perspektive für mich ist. Also habe ihn schweren Herzens verkauft. Ich habe meine Lehre dort abgeschlossen, bin dann auch noch zwei Jahre da als Bereiter geblieben, habe in der Zeit bis M-Springen und einmal auch eine Dressurpferde-M geritten. Der Fokus lag dort absolut auf jungen Pferden, aber ich wollte dann auch mal weiter. So bin ich im April 2017 über einen Kumpel von mir auf den Hof Kasselmann gekommen.

dressursport.kim: Freddy und Du – Ihr arbeitet jetzt also schon seit sechs Jahren zusammen. Was hast Du in der Zeit von Freddy gelernt?

Lars Ligus: Dass der Teufel im Detail liegt. Es gibt überhaupt nichts, was wir dem Zufall überlassen. Es wird alles genau durchdacht, alles hat seinen Grund. Warum bestimmte Dinge auf dem Turnier um 13.09 Uhr passieren müssen und nicht um 13.12 Uhr – wir tacken wirklich jeden Tag genau so durch, dass es optimal für das Pferd passt. Das habe ich längst genau so aufgenommen und das muss auch so sein.

dressursport.kim: Gab es mal einen Auslöser, der Dich das so überzeugt erzählen lässt?

Lars Ligus: Tatsächlich ja. Ich mache immer einen Plan: Wann geht das Pferd noch mal Schritt, wann wird gesattelt etc. Diesen Plan schreibe ich Freddy auf Whatsapp. Dabei rechnen wir von der Startzeit immer zurück und einmal habe ich mich um eine Stunde vertan. Und plötzlich hatten wir noch 45 Minuten bis zum Start und das Pferd hatte noch gar keine Zöpfe. Dann war richtig Hektik, es hat – Gott sei Dank – noch alles geklappt, aber das war kurz vor knapp.

dressursport.kim: Lass uns den Spieß umdrehen: Was hat Freddy eventuell von Dir gelernt in den vergangenen sechs Jahren?

Lars Ligus: Ich glaube, manchmal ruhiger zu bleiben. Er neigt dazu, alles immer noch mal zu überdenken und manchmal sage ich ihm dann: Jetzt atme mal tief durch, es kommt alles so, wie es kommt, wir sind gut vorbereitet und jetzt reiten wir.

dressursport.kim: Rund ums Turnier – was genau sind Deine Aufgabenbereiche?

Lars Ligus: Das geht los mit dem Packen des Turnierschranks und des Lkw. Das ist gerade vor dem Turnier eine Herausforderung, weil ich dann ja auch noch meine Pferde alle reite. Das ist nicht einfach, das unter einen Hut zu bringen. Das sind dann schon immer lange Tage. Das Packen mache ich meistens abends in Ruhe nach dem Feierabend. Dazu brauche ich meine Ruhe, das muss alles genau passen. Freddy schicke ich dabei auch weg. Am Anfang wollte er immer helfen, aber er bringt mir das nur durcheinander. Ich muss genau wissen, wo alles ist. Das alles im Lkw zu verstauen, ist wie Tetris spielen und da bin ich definitiv der bessere Tetris-Spieler.Wenn wir mit dem Lkw losfahren, bin ich auch der Fahrer, weil ich den Lkw-Führerschein habe, Freddy nicht.

dressursport.kim: Ist Freddy ein entspannter Beifahrer?

Lars Ligus: Nein. Ich bin ganz froh, wenn er eine halbe Stunde nach dem Losfahren einschläft 🙂

dressursport.kim: Machst Du Dir auch manchmal bewusst, welche Werte Du da transportierst?

Lars Ligus: Als ich die ersten Male mit so vielen tollen Pferden losgefahren bin, habe ich schon gedacht, dass das jetzt eine ‚Mords-Verantwortung‘ ist, aber man wächst da rein. Es ist ja auch im Alltag ständig Bestandteil, allein, wenn man so ein Pferd Schritt führt.

dressursport.kim: Wie läuft es während des Turniers?

Lars Ligus: Vor Ort versuche ich, Freddy so den Rücken frei zu halten, dass er sich nur auf das Pferd und sich konzentrieren kann und ich mache den Rest drumherum. Ich füttere, miste, flechte ein, Schritt-Führen möchte er meistens selbst. Es geht dabei nicht darum, dass Freddy sich für das ganze Drumherum ‚zu schade‘ ist oder so, aber ich möchte, dass er sich wirklich komplett aufs Reiten konzentrieren kann. Am Abend vor der Prüfung sprechen wir noch mal alles durch, aber ein bis zwei Stunden vor dem Ritt braucht er seine Ruhe, da ist er im Tunnel. In der Zeit ist er auch nicht im Stall, sondern entweder im Hotel oder im Lkw und kommt dann zum Aufsitzen wieder.

dressursport.kim: Während des Abreitens – was ist dann Deine Hauptaufgabe?

Lars Ligus: Beim Abreiten ändern wir nicht mehr viel, das passiert zu Hause. Aber ich probiere, ihm kurz vorm Einreiten ein sehr gutes Gefühl zu geben. Ich will, dass er mit einem sehr guten Gewissen reinreitet und dass er am besten von allen im Viereck aussieht (lacht). Freddy ist ein sehr selbstkritischer Mensch und ich möchte, dass er mit einem guten Selbstbewusstsein ins Viereck geht.

dressursport.kim: Hat er prinzipiell ein gutes Selbstbewusstsein?

Lars Ligus: Nicht wirklich, man muss ihm schon ‚eintrichtern‘, dass er gut ist!

dressursport.kim: Wie viel ‚Mental-Coach‘ steckt also in Deinen Aufgaben?

Lars Ligus: Das sind bestimmt 80 Prozent – gerade vor wichtigen Turnieren.

dressursport.kim: Bei all Deinen ‚Mischaufgaben‘, was meinst Du: Was muss eine Person mitbringen, um ein guter Pfleger zu sein?

Lars Ligus: Man muss sehr verantwortungsbewusst mit dem Pferd arbeiten, das bedeutet: Man muss 24/7 für das Pferd da sein. Sie sind auf uns angewiesen. Und es ist sehr wichtig, dass man immer für das Pferd denken – egal, wie viel Uhr es ist.

dressursport.kim: Häufig wird diskutiert, dass Pfleger, auch gerade Turnierpfleger, kaum eine Chance auf Privatleben haben – wie siehst Du das?

Lars Ligus: Darüber lässt sich streiten. Es ist sicher sehr schwierig, der Job nimmt sicher 90 Prozent eines Lebens ein. Es bleibt nicht viel Zeit, gerade deshalb bin ich auch so froh, dass ich Freddy als Partner habe, wir das alles gemeinsam erleben können und wir sehr ‚gleich ticken‘. Ich könnte ja keinem anderen Menschen, der nichts mit Pferden zu tun hat, erklären, dass ich jedes Wochenende irgendwo anders hinfahre und jeden Morgen um sechs aufstehe, um in den Stall zu gehen. Das ist schon schwierig. Es kommt natürlich auf die eigene Kraft und Energie an, was man mit seinem Feierabend anfängt. Da kann man ja schon etwas unternehmen, aber oft fehlt dazu die Energie.

dressursport.kim: Du bist ein Ausnahmefall: Du bist selbst Bereiter bis zum Grand Prix-Niveau, hast schon das Goldene Reitabzeichen verdient und einige Pferde zum Bundeschampionat qualifiziert, zugleich bist Du Pfleger und Coach eines Olympiakader-Reiters. Wenn Du reiner Pfleger wärst, würde Dich dieser Beruf auch ausfüllen – was meinst du?

Lars Ligus: Absolut. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr reiten könnte, würde ich das auf jeden Fall machen.

Fotos: Strickle, LL-Foto