“Es gib nur eine Reitlehre”

‚Dressur und Para-Dressur – wo liegen Gemeinsamkeiten?

Am 3. September beginnen die Europameisterschaften der Para-Dressurreiter in Ermelo. Auslöser für dressursport.kim mit der zweifachen Silbermedaillengewinnerin der Paralympics von Paris und Aktivensprecherin der Para-Reiter, Regine Mispelkamp, zu erötern: ‚Dressur und Para-Dressur – wo liegen Gemeinsamkeiten? Was sind die Unterschiede?‘ Was verbirgt sich hinter der Aktion ‚100 für 100‘? Und warum engagiert sie sich für Vielfalt Pferd?

Regne Mispelkamp

dressursport.kim: Dressur und Para-Dressur – wo liegen die Unterschiede?

Regine Mispelkamp: Wir machen keinen Unterschied zwischen Para-Dressur und Regelsport-Dressur, es gibt nur eine Reitlehre und die gilt für beide – ich sage mal –‚Arten‘ der Reiterei. Letztlich sind im Para-Sport nur Reiter vertreten, die ein körperliches Handicap haben und an dieses Handicap angepasst sind die Aufgaben in den unterschiedlichen Grades.

dressursport.kim: Stichwort Grades – kannst Du uns das System kurz erklären?

Regine Mispelkamp: Wir haben fünf Grades. Grade I für die Menschen mit den meisten Einschränkungen, Grade V für die mit den geringsten. Das wird ärztlich eingeordnet und dementsprechend angepasst sind die Aufgaben. Grade I bis III reitet auf 20 x 40 m Vierecken, Grade I reitet alles im Schritt, Grade II und III Schritt und Trab. Grade IV und V reiten auf 20 x 60 m Vierecken in allen drei Gangarten, die Seitengänge werden beispielsweise auch abgefragt. Und in meinem Grade, ich bin Garde V-Reiterin, dürfen wir in der Kür Lektionen bis zum St. Georg-Level zeigen.

dressursport.kim:  Worauf achten Para-Reiter bei der Auswahl ihrer Pferde besonders?

Regine Mispelkamp: Da ist im Grunde kein Unterschied zu den Regelsportlern. Wir brauchen genauso Pferde mit guten Grundgangarten, wir brauchen Pferde, die sensibel sind, genug Go, letztlich aber trotzdem ein gutes Interieur haben. Stellen wir uns vor: Menschen mit gewissen Einschränkungen können vielleicht nicht ganz aktiv treiben. Wenn man dann ein braves Pferd hat, das aber tendenziell faul ist, wird es schwierig. Das bedeutet: Wir brauchen alle Pferde mit ‚positivem Nerv‘, der aber kontrollierbar sein muss.

dressursport.kim:  Dennoch passt nicht jedes talentierte Dressurpferd zum Parasport…

Regine Mispelkamp: Es gibt natürlich Pferde, die mit gewissen Körperbewegungen nicht klarkommen. Darauf muss man in den kleinen Grades sicher achten.

dressursport.kim:  Das bedeutet: Ein gutes Dressurpferd ist auch ein gutes Para-Dressurpferd?

Regine Mispelkamp: Genau. Die meisten Para-Pferde sind auch bis hin zu Grand Prix-Reife ausgebildet. In den kleinen Grades, Grade I bis III, dürfen zum Turnier oder zum Championat Bereiter mitgebracht werden, die die Pferde vorbereiten. Die Bereiter reiten die Pferde auf dem Abreiteplatz in allen Gangarten ab, lassen sie evt auch mal anpiaffieren etc. Sie machen all das, was die Pferde brauchen, um in eine körperlich geschlossene Position zu kommen, so dass der eingeschränkte Mensch sich dann draufsetzen und die Prüfung bestmöglich absolvieren kann.

dressursport.kim:  Heute, am 1. September, startet Ihr mit Eurer Aktion ‚100 für 100‘ – was steckt dahinter?

Regine Mispelkamp: Wir wollen, dass der Para-Sport mehr Bedeutung in der Öffentlichkeit gewinnt. Wir haben viel nachgedacht und bemerkt, dass nächstes Jahr die Weltmeisterschaft hier bei uns im eigenen Land mit den Regelsportlern zusammen in Aachen stattfindet – aber das weiß kaum jemand. Diese Bühne wollen wir nutzen. Wir wollen Nachwuchs fördern, unseren Sport mehr nach außen tragen, individuelle Trainingseinheiten ermöglichen und und und… Es fehlen Strukturen und unsere finanziellen Möglichkeiten sind eingeschränkt. So kamen wir auf ‚100 für 100‘. Wir möchten 100 Unternehmen oder Unterstützer:innen gewinnen, die mit einem monatlichen Beitrag von 100 Euro nachhaltige Strukturen im Para-Dressur-Sport schaffen. Natürlich auch mit dem Gedanken an die Paralympics 2028 in Los Angeles.

dressursport.kim: Du engagierst Dich auch bei ‚Vielfalt Pferd‘. Die Aktionswoche beginnt genau in 14 Tagen, am 14. September, und Du hast zwei Reitstunden von Dir in den Gewinnertopf geworfen. Gewinne, die unter allen Aktions-Mitmachern verteilt werden. Warum das?

Regine Mispelkamp: Für mich geht die Aktionswoche Vielfalt Pferd in dieselbe Richtung: Wir wollen die Menschen ans Pferd bringen und zeigen, welche tollen Dinge mit diesen Tieren möglich sind. Da geht es nicht zuletzt um das Erlernen von Grundwerten für Kinder. Wir wollen das Kulturgut Pferd wieder mehr in den Vordergrund stellen.

dressursport.kim: Zwei Trainingseinheiten bei der paralympischen Silbergewinnerin – dürfen sich darum ausschließlich Para-Reiter bewerben?

Regine Mispelkamp: Nein, gar nicht. Ich bin Pferdewirtschaftsmeisterin, ich bin seit mehr als 30 Jahren Profiausbilderin und Diplomtrainerin, habe immer und trainiere auch weiterhin Regelsportler – das ist mein Beruf. Seit meinem Schicksalsschlag, seit meiner Diagnose MS, bin ich bei den Parasportlern gelistet, reite aber auch weiterhin Turniere im Regelsport. Für mich besteht kein Unterschied.