“Ein Ohrwurm hat manchmal schon was”
Und das erwartet Euch in Teil II unseres Experten-Interviews mit Kür-Spezialistin Katrina Wüst: Was genau verbirgt sich hinter den ‚schwierigen Kombinationen‘? Welche ungeschriebenen Gesetze gelten? Welches sind die fünf Lektionen mit Schwierigkeits-Modifikator? Warum haben Serienwechsel eine Sonderstellung? Und weitere Tipps und Tricks – auch zur Musikwahl…
dressursport.kim: So viel zu den Übergängen, die den Schwierigkeitsgrad erhöhen können. Was genau verbirgt sich hinter den ‚schwierigen Kombinationen‘, für die es ebenfalls Extrapunkte für die Schwierigkeit gibt?
Katrina Wüst: Bei den Kombinationen geht es um das Verbinden von Lektionen. Beispiel: starker Galopp – Pirouette – und aus der Pirouette in die Serienwechsel, diese Kombination sehen wir häufig. Auch dabei gibt es keine genaue Angabe, wieviele Galoppsprünge zwischen Beendigung der Pirouette und dem Beginn der Wechsel liegen dürfen. Der Richter muss das Gefühl haben, es gehört zusammen, und dann liegt es im Ermessen des Richters, ob er die Kombination akzeptiert. Wenn der Reiter 20 Meter dazwischen braucht, dann geht das natürlich nicht, aber drei, vier Galoppsprünge können es schon sein. Manchmal warten die Reiter auch auf die Musik, gerade bei den Serienwechseln, die häufig betont sind durch die Musik, aber auch da dürfen natürlich nicht zu viele Sprünge zwischen – bei unserem Beispiel – der Pirouette und den Wechseln liegen. Kombinationen sind übrigens auch das, was Küren im unteren Bereich schwierig macht, denn da gibt es ja nicht die drei extra-schwierigen GP-Lektionen. Eine Kombi aus starkem Trab bis X und einer Traversale/Gegentraversale ist im M-Bereich sicher als bedeutende Schwierigkeit einzustufen. Hier wünsche ich mir manchmal mehr Kreativität von Seiten der Reiter und mehr Verständnis für die versteckten Schwierigkeiten von Seiten der Richter.
dressursport.kim: Damit eine Kombination akzeptiert werden kann, muss jede beteiligte Lektion mindestens mit einer 7 bewertet werden – stimmt das?
Katrina Wüst: Nein, viele Richter handhaben es so, aber das ist kein ‚geschriebenes Gesetz‘. Wieder ein Beispiel, noch mal die Kombination starker Galopp – Pirouette – Serienwechsel. Angenommen der starke Galopp ist richtig gut, die Pirouette auch, da bekommt der Reiter jeweils die 8 oder 9. Aber in den Wechseln leistet er sich einen kleinen Fehler was zu einer 4 oder 5 führt. Wenn er die Kombination sehr direkt geritten hat, aus der Pirouette sehr zügig in die Wechsel, dann erkenne ich die Kombination meist an, auch wenn die Wechsel nicht sauber gelingen. Aber es gibt auch Richter, die strikt danach gehen: Wenn eine Note weniger als 5 ist, erkennen sie es nicht an. Ich bin im umgekehrten Fall strenger: wenn der Reiter nur einen mäßigen Mittelgalopp statt des starken Galopps zeigt und 15 Meter braucht, um mit seinem Pferd eine viel zu große Pirouette zu zeigen, aus der er dann irgendwann korrekte Einerwechsel entwickelt – dann erkenne ich die Kombination nicht an, obwohl kein wirklicher Fehler passiert ist. Für mich ist eine Kombination auch immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Man muss es von Fall zu Fall betrachten und entscheiden. Auf das Endergebnis haben solche Unterschiede zwischen den Richtern allerdings kaum Auswirkungen – das spielt sich im Hundertstelbereich ab, denn die Schwierigkeit repräsentiert insgesamt ja nur ein Zehntel der Gesamtnote.
dressursport.kim: Aber bei der Anerkennung von schwierigen Lektionen spielt die 7 eine Rolle…?
Katrina Wüst: Es gibt ja nur fünf Lektionen, die diesen Schwierigkeits-Modifikator haben: die Piaffe-Pirouette mit verschiedenen Drehungen oder Richtungswechseln, 15 und mehr Einerwechsel oder neun und mehr Zweierwechsel, zusätzlich jeweils auf der Gebogenen oder sogar auf der Zirkellinie, Passage-Traversale und die Galopppirouetten mit mehr als einer 360° Drehung. Und nur diese Lektionen müssen mit 7 oder besser bewertet werden, damit sie als erhöhte Schwierigkeit anerkannt werden. Wenn ein Pferd z.B. im versammelten Schritt anzackelt, dann hat das mit Schwierigkeit nichts zu tun; das fließt in die Note für die Harmonie und eventuell für die Reinheit der Grundgangarten ein. Bei Übergängen und Kombinationen gibt es keine Note, da kann der Richter nur sagen, ob er sie akzeptiert oder nicht, und dann kommt ein kleiner Bonus auf die DoD-Note drauf.
dressursport.kim: Eine ‚Sonderstellung‘ nehmen die Serienwechsel auf der gebogenen Linie ein – warum? Das würde ich weglassen, verwirrt nur …
Katrina Wüst: Weil es die einzige Lektion ist, bei der zwei Kriterien in einer Bewertung haben: die Wechsel und die gebogene Linie. Wenn ein Reiter 15 gute Einerwechsel auf einer leicht gebogenen Linie zeigt, dann erkenne ich das an. Das liegt wieder im Ermessen des Richters. Es gibt auch Kollegen, die die Kombination nicht anerkennen, wenn der Grad der Biegung zu wenig ist. Natürlich, reitet er die Einerwechsel auf einer Geraden, dann erkenne auch ich die Biegung nicht an, sie muss schon erkennbar sein.
dressursport.kim: Apropos Serienwechsel: Neun Einer- und fünf Zweierwechsel sind mindestens gefordert. Aber auch da kann man sich Zusatzpunkt für den DoD verdienen.
Katrina Wüst: Neun Einerwechsel sind sozusagen im Soll, bei 15 und mehr Wechseln gibt es zusätzlich Punkte für den Schwierigkeitsgrad. Wenn jetzt im Ablaufplan steht, dass der Reiter 15 und mehr machen möchte, aber er macht nur 13, dann bekommt er die normale Note für die 13 Einer, aber der zusätzliche Schwierigkeitsgrad wird nicht anerkannt.
dressursport.kim: Wie sieht es mit dem Wiederholen von Piaffen aus?
Katrina Wüst: In eine gute Grand Prix-Kür gehört natürlich mehr als nur eine Piaffe, das ist klar. Für die zweite und dritte gibt es einen kleinen Bonus on top als Wiederholen einer Kernlektion. Das gilt übrigens auch für die unteren Klassen: in einer Pony-Kür z.B. möchte ich mehr als einen einfachen Wechsel zu jeder Seite sehen.
dressursport.kim: Einige Reiter nehmen – meist auf der Schlusslinie – die Zügel zeitweise in eine Hand. Wie spiegelt sich das in der Bewertung wider?
Katrina Wüst: Wenn es sicher gelingt, dann generell positiv, denn es lässt Rückschlüsse auf eine gute Durchlässigkeit des Pferdes zu. Das muss man sich als Richter merken und dann kann man in dem System am Ende der Kür noch einmal 0,2 rauf und runter gehen in der Bewertung der Schwierigkeit. Und eventuell zusätzlich noch in der Harmonienote. Man sollte umgekehrt zum Beispiel auch auf die Piaffen achten, wenn die nur auf dem Hufschlag gezeigt werden können und nur mithilfe der Umgrenzung gerade bleiben, dann könnte man am Ende 0,2 vom DoD abziehen.
dressursport.kim: Was passiert, wenn jemand beispielsweise eine dreifache Pirouette, die ja nicht erlaubt ist, zeigt?
Katrina Wüst: Dann erhalten alle Pirouetten zu dieser Seite eine technische Note unter 5, und gleichzeitig kann der Reiter nicht mehr als eine 5.5 für Choreographie und Schwierigkeitsgrad erhalten. In Choreographie, weil er sich einen falschen Floorplan ausgedacht hat, im Schwierigkeitsgrad, weil er die Anforderungen der Klasse nicht eingehalten hat. Dazu ist der Richter immer verpflichtet, wenn der Reiter sich nicht an die Regeln hält. Das gleiche gilt, wenn er alle Piaffen nur als Piaffe-Pirouetten zeigt, dann müssen alle Piaffen runtergesetzt werden auf eine Note unter 5 – auch darauf muss man als Richter achten.
dressursport.kim: Zum Schluss: Welche Gedanken können Sie uns zur Auswahl der Musik mitgeben?
Katrina Wüst: Naja, erst mal muss die Musik natürlich passen – zu den Grundgangarten und außerdem im GP zu Piaffe-Passage. Was zum Trab passt, kann nicht zur Passage passen. Wenn die Musik dann zusätzlich noch bestimmte Lektionen untermalt oder besondere Höhepunkte akzentuiert, dann sollte der Richter das schon sehr positiv benoten. Im Spitzensport sind es mittlerweile meist sehr gut durch-orchestrierte Küren, von speziellen Komponisten toll gemacht. Es ist immer gut, wenn man eine Musik wählt, die auch emotional den Betrachter mitnimmt. Es gibt Musiken, die jedermann mag. Man merkt es häufig auch an der Reaktion des Publikums, die bestimmte Musiken besonders lieben. Es gibt Reiter, die ein Gefühl dafür haben, sich solche Musiken auszusuchen, bei denen noch mal ‚Extra-Emotionen‘ geweckt werden. Musiken, die außer Frage stehen. Uns Richtern macht es die Bewertung manchmal einfacher, wenn man die Musik kennt und man sich nicht mit komplizierten Dissonanzen auseinander setzen muss. Das entspannt, denn man darf nicht vergessen, dass wir natürlich in einer angespannten Lage sind – auch wenn uns das Kürsystem schon einiges erleichtert. (schmunzelt)